Ein
prächtiger Sakristeischrank in der Pfarrkirche St. Johannes Baptista in Petting
Erschienen im 4. Jahresheft des Verein für Heimatpflege und Kultur Waginger
See e. V. Dezember 1992
Bericht über den Ablauf einer Restaurierungsarbeit von Hans
Meyer
Bei einem Besuch der zu Beginn des 16. Jahrhunderts erbauten Pfarrkirche vermutet
man angesichts der vom Bildhauer Matthias Kern aus Eichharn (bei Weildorf) geschaffenen
neugotischen Ausstattung des Kirchenraumes nicht, dass sich in der Sakristei ein
außergewöhnlicher Schrank aus der Zeit um 1720/40 erhalten hat.
Herrn Pfarrer Huber ist es zu verdanken, dass dieses Möbel
restauriert wurde.
Bei dem gesamten Vorhaben waren das Bau- und Kunstreferat des Erzbischöflichen
Ordinariats, Herr Dr. Baur vom Bayer. Landesamt für Denkmalpflege und Herr Architekt Max
Kredwig aus Freilassing beteiligt Für die Restaurierung der Fassmalerarbeiten war
Kirchenmaler und Restaurator Martin Lauber aus Bad Endorf zuständig. Mit der
Dokumentation und der Schadensaufnahme sowie mit den gesamten Wiederherstellungsarbeiten,
die alle Schäden am Holz und an den Beschlägen betrafen, wurde ich betraut.
Schmiedemeister Alfons Schmuck aus Waging führte die Arbeiten an den Schlössern durch.
Um den Ablauf dieser Restaurierung besser nachvollziehen zu
können, ist es nötig, näher auf die einzelnen Arbeitsabläufe einzugehen:
Dokumentation und
Schadensaufnahme
Restaurierungskonzept
Fassmalerarbeiten
Beschreibung
des Objekts
Schadensbeschreibung
Restaurierungsablauf
Worterklärung
Dokumentation und Schadensaufnahme
Sinn der Dokumentation ist es, neben einer allgemeinen Beschreibung auch
den Gesamtzustand des Möbels oder Bauteiles in allen Details (z.B. Korpus, Schubladen,
Türen, Beschläge und Oberfläche) durch Text, Foto und Zeichnung festzuhalten. Die
Schadensfeststellung ist eine wichtige Grundlage für die Restaurierungsarbeit.
Restaurierungskonzept
Anschließend an diese Vorarbeiten wird ein
Restaurierungskonzept erarbeitet, nach dem alle Arbeiten durchgeführt werden. Zu diesem
Zeitpunkt steht dann schon fest, ob es sich um eine Konservierung, Restaurierung oder
Renovierung handelt. Diese Begriffe werden bei der
Entscheidung verwendet.
a) Konservierung (erhalten, bewahren) = das
Erhalten des Bestandes und hat den Zweck, weiteren Substanzverlust zu verhindern. Diese
Maßnahmen haben für das Kunstwerk sichernden Charakter und beziehen sich weniger auf
seine ästhetische Erscheinungsform.
b) Restaurierung (wiederherstellen) =
Annäherung des Objektes an die ursprüngliche Erscheinungsform. Zu den restauratorischen
Maßnahmen zählen alle regenerierenden Arbeiten und die Entfernung von entstellenden
Beschädigungen (z.B. Schließen von Fehlstellen).
c) Renovierung (wieder neu machen, erneuern,
instand setzen) Diese Begriffe werden nur bei Arbeiten an Gebäuden verwendet.= die
Erneuerung des Erscheinungsbildes eines historischen Objektes. Zum Beispiel: die
Erneuerung des Anstriches, Erneuerung von Türen usw.
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Fassmalerarbeiten
Der mit den Fassmalerarbeiten beauftragte Restaurator führte die
Voruntersuchungen durch. In seinem Bericht dokumentiert er die verschiedenen freigelegten
Farbschichten und gibt Auskunft über deren Zusammensetzung und die verschiedenen
Bindemittel.
Beschreibung
des Objektes:
Der große Schrank hat eine Breite von ca. 410 cm, eine Höhe von ca.
320 cm und eine Tiefe von ca. 87 cm. Er ist an der westlichen Wand der Sakristei
eingebaut. Er reicht bis in das Segment des Gewölbes. Das Erscheinungsbild des Objektes
wird durch die vielfältige Ausprägung der symbolischen Zahl Vier bestimmt.
Die Gliederung der Schrankansicht ergibt sich nicht nur durch die plastischen Profile der
Horizontalprofile des Kranzprofils und der einfach gehaltenen Sockelleiste, sondern auch
durch die Bewegung der vor- und zurückspringenden Bauteile sowie durch die schwingenden
Bewegungen der konkav und konvex verlaufenden Möbelkanten. Besonders interessant sind die
in einem guten Maßverhältnis zueinander stehenden Türen der oberen Reihe.
Die beiden Seitenteile mit den großen Türen heben sich in der Tiefe ein wenig gegen das
breite Mittelteil ab und beschließen den Korpus an den Wandseiten mit je einer
säulenartig gegliederten Lisene bzw. einem Pilaster. Rechts ist die ausgesägte und
bemalte Volute noch erhalten. Die beiden Türen sind, wie die des gesamten Oberteiles,
konkav ausgeformt. Das Mittelteil des Kastens wirkt wie ein in das Gesamtmöbel
integrierter Schreibsekretär. Es besteht aus dem Unterbau mit drei großen Schubladen,
die konvex ausgebildet sind. Hinter der nicht vorhandenen Schreibklappe befinden sich in
die Tiefe etwas zurückgesetzt acht kleine Schubladen mit konkaven Vorderstücken. Sehr
reizvoll sind die über den Schubladen angeordneten vier konkav gestalteten kleinen
Türen. Eindrucksvoll sind die beiden in der Mitte geteilten und geschweiften
Schlagleisten, die sich bei dem darüber liegenden Türenpaar in einen hermenartigen,
gegliederten Pilaster, der deutlich klassischen Ursprung aufweist, vereinigen.
Das einzige Schnitzwerk befindet sich an den Kapitellen der Schlagleisten und an den Basen
des unteren Leistenpaares. Es handelt sich um Rocaillen und Voluten.
Der aus Nadelholz gefertigte Schrank ist in gezinkter und gegrateter Brettbauweise
konstruiert. Die Frontteile sind mit Holznägeln am Korpus befestigt. Das Möbel ist im
"Baukastensystem" mit Hilfe von geschmiedeten Flügelmutterschrauben
zusammengesetzt.
Als in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts die Regotisierung der
Kirchenausstattung erfolgte, erneuerte man auch das Mobiliar der Sakristei. Der große
Schrank blieb erhalten, er wurde jedoch an die in Eiche maserierten neuen Möbel
angepasst. Im Streiflicht war die darunterliegende Malschicht sehr gut erkennbar.
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Schadensbeschreibung
Die Schadensaufnahme zeigte Mängel von sehr
vielfältiger und unfangreicher Natur. Besonders die Türen und Schubladen hatten im Laufe
der Zeit durch hohe mechanische und klimatische Beanspruchung gelitten. Gerade bei den
konkav und konvex verleimten und ausgehobelten Türen machte sich das Schwundverhalten des
Holzes gravierend bemerkbar. Das obere mittlere Türenpaar hatte sich um 55 mm windschief
verformt. Die Kanten der Schubladen und Türen waren im Laufe der Zeit stark beschädigt
worden.
Bemerkenswert sind die Beschlagteile an
diesem Schrank. Die Schlüsselschilder und Knopfschilder sind aus massivem Zinn mit
Rokokoornamenten, die Lüftungsgitter und die Bänder der großen Türen wurden verzinnt
und zum Teil graviert. Alle anderen Bänder und die Schlösser waren mit Holzkohlenpech
als Rostschutz gepicht.
Bei den Schlössern handelt es sich um
"Altdeutsche Schlösser" in offener Bauweise. Die Dillen sind mit Blättchen-
und Reifchenbesatzung ausgestattet. Die "Deutschen Schlüssel" besitzen eine
barocke Reide mit halbrundem Gesenk. Neben einigen Schlössern und Schlüsseln fehlte auch
ein Teil des gegossenen und gravierten Griffschildes am oberen großen Schubladen.
Der Kirchenmaler und Restaurator Martin Lauber führte parallel zu
meiner Dokumentation mehrere Freilegungsproben durch; d.h. er legte verschiedene
"Fenster" bzw. "Treppen" an, um zu prüfen, inwieweit die originale
Fassung erhalten wäre. Erfreulicherweise zeigte sich, dass besonders im oberen Bereich
mit einem guten Erhaltungszustand zu rechnen war.
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Restaurierungskonzept
Nach diesen Gesamtbeobachtungen wurde von mir ein Restaurierungskonzept
erarbeitet. Wichtig ist, dass bei den Arbeiten besonders darauf geachtet wird, dass die
Eingriffe möglichst gering sind, damit die Malschicht nicht geschädigt wird.
Andererseits müssen aber auch die Funktionen der Schubladen und Türen wieder voll
hergestellt werden. Die fehlenden Schlösser und Schlüssel sind nachzubauen, die alten
Beschläge müssen instand gesetzt werden. Das beschädigte Griffschild wird nach einem
unbeschädigten Original neu angefertigt.
Ablauf
der Restaurierung
Das Restaurierungskonzept bildete Grundlage
für die anschließend durchzuführenden Arbeiten.
Es waren Fehlstellen zu ergänzen und lose
Teile zu leimen, d.h. zu festigen. Zu beachten war, dass als historisch richtiger Leim nur
Glutinleim verwendet wurde, da moderne Leimarten nicht auf alten Glutinleimfugen haften.
Auch greift so einer der obersten Grundsätze der Restauratorenarbeit, nämlich der der
Reversibilität (d.h. ohne Schaden wieder entfernbar). Beim Ebenschneiden von eingesetzten
Teilen musste besonders darauf geachtet werden, dass die vorhandene Substanz nicht
geschädigt wurde. Besonders arbeitsaufwendig sind in der Regel die Schubladenführungen,
die sich in diesem Fall bei den großen unteren Schubladen zum Teil konisch von 25 - 2 mm
durch die querliegenden Schubladenböden abgenutzt hatten. In diesem Fall mussten die
Schubführungen erneuert werden. An den Türen wurden Risse, ausgebrochene Teile und zum
Teil die Gratleisten restauriert.
Die bereits beschriebenen oberen Türen
wurden mehrmals auf eigens gefertigten Schablonen in die annähernde Form der Korpuskanten
gebogen. Mehrere Profile mussten ergänzt werden, das Sockelprofil war durch Abnützung im
mittleren Bereich fast zur Hälfte zerstört. Die großen Schwundrisse in den Rückwänden
wurden geschlossen, der durchgebrochene Boden wieder in die richtige Lage gebracht. An der
rechten kleinen Schlagleiste war ein fehlendes Teil der Schnitzerei zu ergänzen.
Wichtig bei den Restaurierungsarbeiten ist
immer wieder, dass auch die Beschlagteile, die Schlösser und Zierbeschläge gereinigt,
ergänzt bzw. wenn nötig, erneuert werden. Meine Abschlussarbeiten waren das Anschlagen
der Türen und Einpassen und Leichtgängig-Machen der Schubladen. Nach diesen
umfangreichen Arbeiten begann die schwierige Tätigkeit des Kirchenmalers.
Er musste die Flächen vorsichtig freilegen
und die Fassung festigen, da sie sich puderartig ablöste. Bei der Originalbemalung
handelte es sich um eine Kasein-Temperamalerei. Nach Abschlug der Freilegungsarbeiten
zeigte sich, dass im oberen Bereich 80 % und im unteren nur 20 % der
Malschicht erhalten
waren, dies war in erster Linie auf die stärkere Abnutzung im Arbeitsbereich
zurückzuführen. Bei einem Termin mit dem Konservator fiel dann die Entscheidung, dass
die schadhafte Malerei an die oberen Partien angeglichen werden sollte.
Ein weiterer Arbeitsgang war das Retuschieren
von Schadstellen bzw. von neu eingesetzten Holzteilen.
Alle diese Tätigkeiten wurden ebenfalls in
der historischen Kasein-Tempera-Technik durchgeführt.
Als Schlussanstrich erhielten alle Teile
nochmals einen Anstrich mit farblosern Kasein.
Unseren Auge bietet sich nun ein verhältnismäßig farbenfrohes Bild, obwohl nur
ungefähr 80 % der Leuchtkraft und ursprünglichen Farbigkeit zu sehen sind.
Nachdem sich der Schrank in seiner originalen
Pracht zeigt, kann er auch zeitlich leichter eingeordnet werden. Er dürfte um 1720 - 40
entstanden sein. Das Objekt zeigt teilweise noch barocke Formen, jedoch ist diese
Frontaufteilung in der frühen Barockzeit nicht üblich. Ab ca. 1715 werden die Flächen
gebaucht und geschwungen, die Voluten werden weiterhin verwendet. Das Ornament tritt im
18. Jahrhundert in den Vordergrund. Die Malerei am Schrank ist eine Imitationsmalerei,
eine Augentäuschung, denn die Fassung soll eine echte Furnierarbeit darstellen.
Die Gliederung der Front geschieht hier kaum
mehr durch plastische Profile oder abgesetzte Füllungen, sondern durch wechselnde Farben
und Strukturen. Die Marketterie und das Bandlwerk muten stellenweise noch hochbarock an.
Es werden verschiedene Holzarten dargestellt. So sollen die fast marmorartige und
vereinfacht gemalte braune bis ins Gelbe auslaufende Malerei in den Mittelfeldern sowie
die am Rand umlaufenden schräggestellten Streifenfurniere (Filets) mit dem
Richtungswechsel an den Symmetrieachsen Nussbaumfurniere darstellen. Die schwarzen und
weißen Adern (sehr schmale linienartige Furnierstreifen) zeigen Ebenholz und Ahorn an,
die rotorange gefassten Bänder und Profilteile das wertvolle Rosenholz.
Ebenholz (Madagaskar) und Rosenholz (Brasilien) zählten damals schon zu
den wertvollsten Hölzern. Sie gehörten zu den so genannten "Pfundhölzern", die
als Ballastmaterial von den Schiffen aus Übersee mitgeführt wurden und in den
Heimathäfen aufgrund des hohen Wertes nach Gewicht verkauft werden konnten.
Mit den Mitteln von Farbe und Struktur wird hier ein mit edlen Materialien ausgestatteter
Schrank dargestellt, denn das gleiche wie für das Holz gilt auch für die Metalle: das
glänzend polierte Zinn steht stellvertretend für das wertvollere Silber. Wir können uns
heute nur noch eine sehr vage Vorstellung von der einstigen Farbigkeit und Wirkung dieses
Sakristeischrankes machen. Es ist erfreulich, dass sich dieses Möbel noch erhalten hat
und durch die Restaurierung wieder genutzt werden kann.
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Worterklärungen:
Bandlwerk: Ziermotiv,
dessen Muster aus lebhaft geschwungenen Bändern besteht. Besonders beliebt im frühen 18.
Jahrhundert
Dille: Ein aus Blech
geschmiedetes Schlossteil, das entweder als vordere oder als hintere Schlüsselführung
dient. Die Dille dient auch als Träger der Schließerschwernisse (Blättchen- bzw.
Reifchenbesatzung).
Fassmaler: Der Maler, der
ein Holzbildwerk farbig "fasst", d.h. bemalt und vergoldet.
Fenster: Freilegungsstelle,
durch die der Restaurator wie durch ein Fenster auf die darunterliegenden Malschichten
blicken kann.
Glutinleim: Tierischer Leim
(Haut-, Leder- oder Knochenleim)
Kapitell: Das ausladende
Kopfstück von Säulen
Kasein: Käsestoff (Topfen,
Quark). Bei einer Vermischung mit Kalk geht das Kasein infolge seines Eiweißgehaltes eine
chemische Verbindung ein und wird dadurch wasserlöslich und kann als Bindemittel
verwendet werden. Nach der Trocknung ist die Farbschicht wasserunlöslich.
konkav: Nach innen gewölbt.
konvex: Nach außen
gewölbt.
Marketterie: Auflegen
(aneinanderlegen) kleinflächiger Furnierteile auf ein Trägermaterial. im Gegensatz:
Intarsie á la Röntgen). Bei dieser Technik wird jedes Teil in das Grundholz bzw.
Grundfurnier einzeln eingeschnitten.
Rocaille: Rokokoornament in
Grotten- (Muschel-) (ab 1733- 35) oder Pflanzenform mit einem C-Schwung oder einer S-Form.
Temperamalerei): Deckende
Malweise
Volute: Das Gerollte, in der
Baukunst jede schneckenförmig gewundene Verzierung.
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